Mialli

Behutsam streichte ich mit einem Finger über die stumpfe Mähne des hellgrauen, mageren Hengstes. Vorsichtig hob er seinen schönen Hechtkopf, starrte mich für ein paar Sekunden an, und ließ ihn dann langsam wieder sinken.

„Er ist im Moment wohl sehr müde“ erklärte Mrs. Mialli verlegen. „Du kannst ihn ruhig rausholen und ihn kräftig putzen.“ „Danke, tue ich gerne. Wo finde ich einen Führstrick, und wo ist das Putzzeug?“ fragte ich dann die Tierschützerin. Aber die hörte mich gar nicht. Sie versuchte Mrs. Mialli abzuwimmeln. Denn Mrs. Mialli entschuldigte sich jetzt schon zum X-tausendsten Mal über das Aussehen des Hengstes, und das sie eben keine Ahnung von Pferden habe.

Mutter wollte mir mal zum 10. Geburtstag ein Pferd kaufen. Ich hatte mich da aber noch nicht für Pferde interessiert und deshalb habe ich dann doch ein Fahrad bekommen mit 3 Gang Schaltung. Jetzt, also vor 2 Wochen bin ich 15 geworden, und Mutter hatte auf den Wunsch ein Pferd zum Geburtstag zu bekommen nur gesagt: „Jetzt gerade wo der Laden nicht so gut läuft, willst du ein Pferd“ (meine Mutter arbeitet in einem kleinen Textilladen und mein Vater ist Manager). „Aber ich will dir trotzdem eines kaufen. Ist ja nicht so das wir kein Geld haben, wie die Müsakas“ (das sind unsere Nachbarn, mit denen versteht sich Mutti nicht so prächtig). Und dann hat sie gesagt sie würde mir 3.000 Euro geben, den Rest müsse ich bezahlen. Und die weiteren Kosten (Unterstand in der Reithalle und Futter) würde sie auch übernehmen.

Und jetzt habe ich zufällig mitbeobachtet wie eine Frau in unsrer Siedlung von ihrem Mann ein Pferd geschenkt bekommen hat (zur Hochzeit) und es überhaupt nicht leiden kann, ihren Mann aber nicht enttäuschen will, und es deswegen nicht verkauft. Da sie es nicht leiden kann, und auch keine Ahnung von Pferden hat, schlägt sie es immer und gibt ihn nur vergammeltes Essen das von ihren Mahlzeiten übriggeblieben ist. Diese Frau heißt Mrs. Mialli. Meine Freundin Teresa und ich haben lange Mrs. Mialli beim füttern zugeschaut. Sie wurde von Tag zu Tag gemeiner. Ihr Mann bekam davon nichts mit, da er in Amerika nach Dinosauriern grub. Als Mrs. Mialli dann auch noch mit Steinen nach dem Pferd warf und dabei ganz fies lachte, haben wir es dem Tierschutz gemeldet, und der hat das namenlose Pferd mitgenommen, und nun Mrs. Mialli eine Geldstrafe vorgeworfen wegen Tiermisshandlung.

Mrs. Mialli sagte das sie das Pferd gleich da behalten können (also im Tierschutzverein) da sie sonst vielleicht wieder ausflippe, wenn sie es nach Hause nehme. Jetzt braucht sie nur die Hälfte der Strafe bezahlen, hat aber einen mindestens 3.000 Euro wertvollen 6-jährigen Vollblutaraber Hengst verloren. Und ich, ich bin gerade dabei mich in dieses vernachlässigte wunderschöne Tier zu verlieben und auch fast schon sicher von meinen 3.000 Euro, die ich von Mutti bekommen habe, mich zu trennen. Und ich glaube der Name Mialli würde auch gut zu ihm passen…

„Miss Jieson?“ ich wandte mich der Tierschützerin zu die gerade das Strafgeld von Mrs. Mialli zum dritten mal zählte. Sie hatte es doch noch geschafft die „Tierquälerin“ von ihren Hof zu schicken, indem sie gedroht habe, ihr das Pferd wiederzugeben und doch noch das ganze Strafgeld zu kassieren. Vor Wut schnaubend hatte die Tierquälerin den Hof verlassen und hatte laut vor sich hergeschimpft wie sie es ihren Mann erklären solle und was das denn für ein hoher Preis sei, trotzdem schien sie glücklich ihr Pferd für sage und schreibe 250 Euro verkauft zu haben. Jetzt grinste Miss Jieson. „Ich weiß, ich weiß, Kindchen, ich war unfair der dummen Frau gegenüber. HAHAHA“ Da fing sie höllisch an zu lachen. „Du weißt doch hoffentlich das dieses, hihi“ Das war kein reden mehr, nur noch prusten vor lachen, “ Du weißt doch das dieses Pferd da im Stall, um die hihi, um die 5.000 Euro wert ist, ja um die 5.000 Euro Gewinn kann man damit machen….“

Mir fiehl der Mund auf. „5.000“ stammelte ich, „5.000“ wiederholte Miss Jieson kichernd. „Verdammi. Warum habe ich das Pferd nicht selber von ihr abgekauft…“

„Ach keine Sorge“ Die Tierschützerin hatte sich endlich beruhigt und schien jetzt erst zu fassen was für einen Gewinn sie da gerade gemacht hatte. „Du kannst Somson auch für uns reiten. Um so besser: Schön von einem Kenner ausbilden lassen, für ca. 400 Euro und dann kann man ihn für 6 weggeben.“ „6.000 Euro, aber dann, ich meine…“ ich wusste nicht was ich sagen sollte, irgendwie war ich enttäuscht. Jetzt konnte ich ihn doch nicht mehr kaufen. Und da ich auch neidisch war, zählte ich Miss Jieson gleich noch Vorurteile auf: „Aber bestimmt wird Somsom, oder wie du ihn genannt hast, bald wieder zurückgeholt, denn der Mann von Mrs. Mialli versteht bestimmt was von Pferden und weiß wie viel Wert der Hengst hat.“ „Ja und, sie hätte auch die 500 Euro zahlen können. Tierquälerei Pferden gegenüber kostet wirklich 500 da habe ich sie nicht betrogen, Pferdehändler können auch lügen was das Zeug hält. Sie lügen meistens eben nur wenig, da, wenn man dahinter kommt, die Händler einen schlechten Ruf bekommen, weißt du. Aber ich könnte genausogut sagen das sie mir den Preis vorgeschlagen hat. Und ich muss dann doch nicht sagen: Ach, der is mehr wert ich gebe ihnen mehr- sie bezahlt mich ja nicht dafür das ich ihr die Wahrheit sage und sie berate. Unsere Tierquälerin hätte sich ja einen Berater für wenig Geld holen können. Nun ja, was ihren Mann betrifft, kriegt sie eben Ärger, ne Tierquälerin hat ´s verdient- finde ich…“

Und das fand ich auch. Ja, mit diesen Worten hatte sie mich überzeugt. Hätte ich denn gesagt: Nee ich gebe ihnen mehr Geld. Dummheit is eben dumm in solchen Fällen. Aber es war ja nur Dummheit das sie keinen Kenner nach den eigentlichen Preis gefragt hatte. Sonst hatte nur das mangelnde Pferdewissen schuld. Und mangelndes Pferdewissen, Dummheit und Pech sagte auch der Anwalt, als Mr. Mialli sich beschwerte nachdem der Tierschutzverein sich geweigert hatte, Somsom wieder herzugeben. Huch, das hat wohl Ärger zu Hause bei den Miallis gegeben, dachte ich mir, ich möchte jetzt nicht in der Haut von Mrs. Mialli stecken, und dann auch noch als Hochzeits Geschenk… Naja, jetzt jedenfalls stand Somsom, also mein Mialli jeden Samstag im Pferdemarkt und schon nach der 2. Anzeige kam der erste Anruf…

„Hallo, mein Name ist Wildskern. Ich rufe wegen der Anzeige an. Einen Vollblutaraber-Hengst, einen 6-jährigen Grauschimmel haben Sie?“ „Ja, ja ganz recht.“ antwortete Miss Jieson auf den Anruf für Mialli. „Wie lange wird er denn schon geritten, ich meine ist er was für Kinder? Fortgeschrittene?“ „Oh ja, er ist schon seit seiner Geburt hier. Seine Mutter wurde von einem Tierquäler befreit. Von einem 15-jährigen Mädchen. Ja, und die reitet, das Tier…“ log Miss Jieson. „Ist sie fortgeschritten?“ Da erst, als Miss Jieson mich von Kopf bis Fuß musterte, merkte ich, das sie mich meinte. Dann zwinkerte sie mir zu. „Ja, aber natürlich. Eine super Reiterin. Ganz große Klasse. Aber er ist auch für Anfänger geeignet.“ erzählte sie dann begeistert, ihrer Sache ganz sicher. Als ich gerade sagen wollte, dass ich doch gar nicht ein Profi wäre, nur fortgeschritten, und die Grundgarten beherrschte, weiter nichts warf sie mir einen warnenden Blick zu und stellte den Lautsprecher des Telefons wieder aus.

Verblüfft verließ ich das Zimmer und ging zu Mialli in den Stall und betete das dieser Wildskern mein geliebtes Pferdchen hier lassen würde. Bis jetzt war ich, da es ja Osterferien waren, jeden Tag zu Mialli gekommen. Manchmal auch mit Teresa, ihrer kleinen 11-jährigen Schwester Jule und meiner zweitbesten Freundin Mia. Mia, Teresa und ich hatten Mialli immerzu gestriegelt, und Jule war zu Karsus, einen 20-jährigen Fuchswallach gegangen. Und da Jule langsame Pferde liebte, und da Karsus langsam war und niemand ihn deshalb reiten wollte, hatte Jule das Glück und konnte ihn im Schritt reiten. Aber Miss Jieson meinte immer das Somsom zu temeramentvoll wäre um mich draufzulassen, da sie noch gar nicht wusste wie gut ich reiten konnte.

Na ja, jetzt musste ich Somsom wohl vorreiten, denn wenn Miss Jieson jetzt nochmal lügen würde dann wäre ich aber alles andere als gut auf sie zu sprechen…

Am liebsten hätte ich natürlich sofort Mia und Teresa von dem Telefonat erzählt. Aber da ich nicht wollte das sie mir beim Vorreiten zuguckten (ich war ehe schon mehr als nervös) lies ich es bleiben. Mia war eine ausgezeichnete Reiterin, sie ritt nur nicht mehr seit ihr Liebling Bon Jovi aus der Reithalle, ein 23-jähriger Wallach, der als Schulpferd eingesetzt worden war, an einer schlimmen Kolik erkrankte und danach nur noch die Notspritze zu erwarten hatte. Er wurde eingeschläfert. Seitdem war Mia nie mehr zur Reithalle gegangen, ihre Pflegepferde, um die 6 Stück, hatte sie auch aufgegeben. Was ich allerdings komisch fand war, dass sie trotzdem immer mit zu irgenswelchen Pferden wollte und nur noch striegeln wollte. Hätte ich nicht selbst gesehen wie Mia unter dem Tod von Bon Jovi litt, hätte ich gedacht, sie wäre einmal böse vom Pferd gefallen und traute sich seit dem nicht mehr hinauf. Aber Mia konnte doch super reiten! Aber das war für sie jetzt tabu, es gab nur noch füttern, striegeln und streicheln für sie. „Ich bekomme immer Tränen in den Augen und werde an Bon Jovi erinnert wenn ich jetzt noch auf einem wild gallopierenden Pferd sitze. Es weckt einfach zu viele Erinnerungen“ Mehr hatte Mia nie dazu zu sagen gehabt.

Als ich dann vom Rad sprang und dem üppigen Stück Rasen zu lief, der als Reitplatz dienen sollte, hatte ich Glück. Ich war nicht zu spät. Aber „zufälligerweise“ waren Mia und Teresa auch da. Ich wusste nicht wie sie von meinem Vorreiten erfahren hatten.

„Hi, Chrissy.“ begrüßte mich Mia. „Hab gehört, du reitest heute vor?“ Ich wusste das sie davon wusste. „Meinetwegen kannst du ja.“ zischte ich durch zusammengebissenen Zähnen. Auf so etwas reagierte ich nicht besonders gut. Ich weiß wie Mia das meint. Nur weil ich nicht so gut reiten kann wie sie. Immerhin beherschte ich die Grundgangarten, dass war doch die Hauptsache und bis 60 cm sprang ich einwandfrei, also war ich Fortgeschritten, aber kein Profi und ich kam mit längst nicht jeden Pferd so gut klar.

Teresa schaute mich argwöhnisch an. „Jetzt reg dich mal lieber wieder ab, Miss. Sonst fällst noch vom Pferdel!“ Und das hasste ich bei Teresa. Nur weil mein Vater gut verdiente, tat sie so als wäre ich ne Miss und eingebildet, steinreich und hochnäsig. Teresa ritt ungefähr im gleichen Niveau wie ich. Also gleich gut. Mal besser mal schlechter. „Muss ich jetzt allein Mialli fertigmachen, oder-“ ich stutzte. Oh nein, jetzt hatte ich doch tatsächlich Somsom beim Namen genannt. Ich wollte doch nie sagen das ich ihn Mialli genannt hatte. Bestimmt würden sie jetzt loslachen. Doch ich drehte mich schnell um und lief über den Reitplatz zu den Ställen. Ob sie überhaupt gelacht hatten, hatte ich nicht mehr mitbekommen. Zum Glück!

Ich war gerade damit fertig meinen Mialli zu putzen (er sah jetzt aber wirklich hinreißend aus), da fuhr ein gelber Ferarri auf den Hof. Das Auto hielt kurz vor mir und Mialli. Ein gutgekleideter junger Mann, mitte 20 stieg aus, nahm seine Brille ab und putzte sie. Mir gefiehl er sofort nicht, wie er da lässig an sein teures Auto gelehnt mich keinen Blick würdigte. Als wäre ich minderwärtig. Dann setzte er seine schwarzen Brillengläser wieder auf die Nase und schaute auf. Als er mich dann sah, lächelte er freundlich. Er kam auf uns zu, und- verdammtnochmal, er lächelte nicht mich, sondern Mialli an. Hatte er mich noch nicht gesehen. Ich bin doch 15, 1,70 groß. Und stehe neben einen 1, 55 cm großen Hengst. Er müsste mich doch gesehen haben. Liebevoll tätschelte der „Obercoole Matcho“ Mialli den Hals. Er ignorierte mich weiter, als ob er wollte, dass ich ihn begrüßte. Als Mialli dann auch noch schnaubte und kurz davor war, sich mit diesem Fremden anzufreunden, sprang ich ein. „Hallo“ ich streckte „ihm“ die Hand aus. „Oh“ er hatte eine dunkle kratzige Stimme fast unheimlich. Oder wollte er mir nur Angst einjagen? „Oh, entschuldigen Sie das Ignorieren meinerseits“ er sprach ironisch, als würde er einen Professor nachahmen. Als er mir immernoch nicht die Hand ausstreckte wurde ich sauer. Ich fand ihn unhöflich. „Guck nicht so, Süße“ antwortete der Fremde auf mein böses Gesicht mit einem hämischen Grinsen. Sag mal, konnte der nie ernst sein. Ich fand das gar nicht mehr zum Grinsen. „Wer sind sie?“ „Oh, du kennst mich nicht?“ irgentwoher kannte ich dieses Grinsen. Ich musterte ihn. Die feinen Gesichtszüge, die blondierten hochgegelten Haare…

Während ich kurz davor war, das Unfassbare zu glauben, kamen Mia und Teresa auf den Hof geschlendert. Sie kicherten und erzählten sich was, Mia wollte gerade zu mir etwas sagen, als sie den Mann neben mir erblickte, und abrup stehenblieb. Mit großen Augen sah sie den Mann an. „Sie, sie….“stotterte Mia „sie sind Jack Assejin. Oder nicht?“ „In der Tat“ antwortete der Fremde. Ich stutzte. Hatte ich doch Recht gehabt. Jack Assejin war einer der besten Schauspieler in Florida. Jack Assejin spielte in meinem Lieblingsfilm „Mein linker Platz ist frei“ mit. Und in „Susan“ und in „Unerklärliche Gewissheit“ mit 7 Oskars nominiert. Und in „Lalajo“, und- ich wurde von Jack Assejin persönlich aus meinen Gedanken gerissen.

„Na, erstaunt? Kennst mich wohl, gel?“ Daher kannte ich das Grinsen. „Entschuldigung“ nuschelte ich und starrte zu Boden. „Brauchst dich ja nicht zu Entschuldigen, Honey!“ Honey! Das hatte er immer zu Jane Candle in „Lalajo“ und in „The man behind his eyes“ zu Kestin Waynesis gesagt. Uns jetzt zu mir… Dann unterbrach Teresa die peinliche Stille, während Mia Jack begeistert anstarrte und ich mich mit hochroten Gesicht fast zu Tode schämte. Mia passierte nie so was. „Also, würdest du jetzt bitte Somsom satteln, oder Mialli, wie du ihn gerade noch genannt hast“. Teresa fing an zu kichern. Mia konnte langsam auch wieder ihren Augen trauen und kam zur Wirklichkeit zurück, beide lachten. Ach, Leben warum bist du so ungerecht. Da hätten die beiden doch besser über mich lachen können als ich nicht einem der bestaussehensten Schauspieler gegenüber stand. Aber so waren sie eben. „Warum?“ fragte Jack dann erstaunt, mit seinen süßen unschuldigen Schauspieleraugen „Was ist an dem Namen Mialli denn so schlimm, ich habe ne Kröte die heißt Kasantje. Auch ein Nachname.“ Oh, Jack ich liebe dich noch mehr als zuvor in deinen Filmen. Er hatte mich verteidigt. Mia und Teresa hörten auf zu lachen, und am liebsten wäre ich Jack um den Hals gefallen, da er, gerade er, wo er es doch gar nicht nötig hatte, mich verteidigt hatte.

Aber warum Jack Assejin nun gerade hier war, erfuhr ich nicht mehr. Miss Jieson rief aus dem Stall heraus nach mir. „Chrissy, hm. Hübscher Name. Passt zu dir.“ Da war sein Lächeln wieder. Er sagte ich seie hübsch. Oh man, warum war ich jetzt nur so rot geworden. Sonst hätte ich zu Mia und Teresa schauen können. Man, müssen die jetzt aber neidisch sein. Ich nuschelte dankeschön und ging in Trance zum Stall, Mialli hinter mir. Mia und Teresa musste ich nun leider mit meinem Lieblingsschauspieler allein lassen. Alles wegen Mialli. Aber als ich dem treuen Hengst dann in die Augen blickte, nahm ich das zurück und plötzlich kam wieder dieses Stechen im Magen und der Kloß im Hals. Showtime…

Insgesamt hätte ich froh über Miallis Benehmen sein müssen. Er ging zwar nicht tadellos, aber sobald ich aufgessen hatte spürte ich sein Temperament. Durch die Ausbinder, die Miss Jieson von Quick Trick ausgeliehen hatte (einen 19-jährigen Wallach, der nur noch im Schritt und im Trab geritten werden durfte, er hatte trotz seines Alters viel Power), schaffte ich es seinen feingezeichneten Kopf unten zu halten. Der Vollblutaraber-Hengst wollte zwar immerzu traben aber das war ja gerade das schöne. So ein schneller Schritt. Trotzdem durfte ich keine Sekunde träumen. Sonst wäre er tatsächlich davon gedüst. Der Schritt war also gut. Manchmal blieb er stehen und schlug mit dem Kopf. Dann gab ich ihm einen Hieb mit der Gerte und er war wieder im schnellen Schritt. Als ich 3 Runden Schritt hinter mir hatte fing ich an zu traben. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich Mr. Wildskern, ein Deutscher wie er erzählt hatte, und Mrs. Wildskern, in der Mitte Miss Jieson, die mir aufmunternd zuzwinkerte. Aber die Wildskerns sahen nicht so begeistert aus. Sie schauten nur böse. Dabei ging der Trab doch einwandfrei! Er ließ sich überall hinlenken. Ich saß richtig, es rukkelte wohl ein bisschen, deswegen waren meine Hände manchmal etwas zappelig, aber sonst war alles in Ordnung. Einmal buckelte er vor Freude, er wollte wohl gallopieren. Als ich ihn einen Gertenhieb danach verpasste, ich weiß auch nicht warum, das war wohl Reflex gewesen, normalerweise habe ich mehr Respekt, da buckelte er gleich noch zweimal und setzte sich in einen bezaubernen Galopp. Selten habe ich so viel Spaß beim Reiten gehabt. Es war traumhaft. Am liebsten hätte ich meine Augen geschlossen, und mir nen Strand als Umgebung gedacht. Doch stattdessen tätschelte ich Miallis Hals, um so zu tun, als wollte ich angalloppieren. Ich wollte es ja auch, aber eigentlich hätte ich erst die Hilfen dazu geben müssen. Der Gallop wurde immer schöner, immer schneller, bis ich merkte, das ich leicht nach vorne gebeugt war, ich saß gar nicht mehr richtig. Zu schade. Gerne wäre ich so in den Steigbügeln stehend weiter geritten. Dann wäre er immer schneller geworden. Aber durch einem kurzen Blick zu Miss Jieson sah ich das die Wildskerns die Schnelligkeit und das Wohlfühlen auf seinem Rücken nicht sehr entzückte. Ich ritt noch im langsamen versammelten Galopp ein paar Runden. Und ritt ihn dann im Schritt trocken. Als ich absaß, bereute ich das ich mich von der besten Seite gezeigt hatte. Mit der Bestätigung, das Mialli mein Traumpferd war, hatte ich gleichzeitig dafür gesorgt, das nicht ich sondern solche Tunier-bessesenen Deutsche ihn bekamen. Keine langen Ausritte. Kein schneller Galop. Kein tiefes Vertrauen. Ich hatte mir und meinem Mialli gerade die Zukunft versaut, dabei hatten wir uns gegenseitig im Galopp doch gefunden, wir waren füreinander bestimmt, das wusste ich jetzt. Doch die Vorführung war zu Ende, nun hieß es Abschied nehmen…

Mia und Teresa hatten sich ganz nebenbei auch noch während ich ritt bei Jack eingeschleimt. Das sah ich als ich mit Mialli, der überhaupt nicht schwitzte so wie ich es bei Schulpferden kannte (er war eben ein Araber), zurück auf den Hof ritt, wo Quick Trick, zu meinem Erstaunen stand. Mia half Teresa die Mähne von Quick Trick zu flechten. Tunierzöpfe, stellte ich fest als ich näher herankam. „Was“ fragte ich verwundert als ich Mia ansah dabei zeigte ich auf die Zöpfe. Mia schaute mich frech und herausfordernd an. Ich hätte ihr eine scheuern können. Sie wusste das ich sauer war, das die beiden eine Zeit lang mit Jack verbringen konnten. Ohne das ich dabei war. Ich erwiderte ihren Blick und schüttelte den Kopf. Als ich dann Mialli zum nächsten Anbindepfosten führte und meine Reitkappe vom Kopf nahm spürte ich die 3 Augenpaare im Nacken. Langsam und genervt drehte ich mich auf dem Absatz um und starrte Mia widerwärtig an. Oft hatten wir uns kleine schmutzige Wörter zugeworfen und waren frech und gehässig uns gegenüber gewesen. Immer hatten wir uns wieder vertragen und waren dann unzertrennlich gewesen. Diesmal hatte ich dieses komische Gefühl, das sie ewig auf meiner Hass-Liste auf dem ersten Platz stehen würde. „Glotzt nich so“ „Locker, Chriss“ hauchte Jack. Ich lief wieder rot an und schaute zu Boden, gerade wollte ich ihm den Rückem zudrehen, da säuselte er: „He,“ ich schaffte es ihn kurz in die Augen zu schauen. Über seinen Brillenrand fixierte er mich: „Entspann dich…“ Oh Gott. Schon allein wie er das sagte zum dahinschmelzen. Aber ich, hochnäsig wie ich in diesem Augenblick war, warf meine bronzefarbene Lockenmähne zurück und stolzierte wie ein Top-Model vom Hof, Mialli am langen Zügel hinter mir her. Umdrehen und Jack eines Blickes zu würdigen konnte ich nicht mehr. Die Tränen standen mir bereits in den Augen.

Zuhause ließ ich mich erst einmal von meiner 18-jährigen Schwester Tanja trösten. Sie verstand mich, zumindestens sagte sie das. Aber ich wusste das sie in echt nur die Augen verdrehen wollte und wieder einmal „typisch Pubertät“ sagen wollte. Sie wusste aber zum Glück das das mich nur noch mehr verletzen würde. Und ließ es zum Glück bleiben. Ich heulte mich total aus. Von Jack erzählte ich nicht. Hätte sie mir denn Glauben schenken können? Dabei bestimmt nicht. Am nächsten Morgen war ich schon um 8 Uhr wach und kaum hatte ich gefrühstückt und so weiter machte ich mich auf die Socken zum Gnadenhof. Es war nicht so das ich nicht 5 km Rad fahren konnte, aber natürlich wollte ich lieber mit dem Auto fahren. Vater sagte, ich könne langsam mal lernen Fahrrad zu fahren und das tat ich dann auch.

Als ich dann zu Miallis Box kam, hätte ich beinahe noch mehr Tränen vergossen. Die Box stand leer. Ok, ich hatte mich ja schon einen Tag zuvor damit abgefunden, dass Mialli bald mit zu den Wildskerns kommen würde. Aber irgentwie hatte ich da doch noch ne Spur von Hoffnung gehabt. Die war jetzt erloschen. Betty, eines der Stallmädchen kam in den Stall. Sie begrüßte mich freundlich scherrte sich aber weiter nicht um mich. Als sie mich zur Seite drückte und Miallis Box säubern wollte, setzte ich zur Frage an, wo Mialli seie. Irgendwie wollte ich es nicht wahr haben, das er weg war. Betty kam mir zuvor: „Verdammt“ nuschelte sie „Du hättest dir ruhig n bisschen mehr Mühe bei Somsom geben können. Dann hätten die Wildskerns ihn genommen…“ „Was?“ stotterte ich. Mialli war nicht weg? Ich schluckte und fragte dann mit klopfendem Herzen. „Mialli, also Somsom ist nicht weg?“ Mit angehaltendem Atem lauschte ich. „Mialli?“ Betty schaute hoch und grinste mich an. „Ah! Hast dir schon nen eigenen Namen ausgedacht? Ne, noch is er da, dein Mialli. Noch. Aber dieser Mr.Assejin. Als hätte der nicht schon genug angegeben…“ „Wie?“ fragte ich mit zitternder Stimme. Jetzt verstand ich nichts mehr. Mialli war noch da? Aber wer sollte ihn kaufen? Ich presste meine langen Fingernägel ins Fleisch. So das es unerbittlich schmerzte. „Ach, stimmt. Du weißt davon ja nichts. Warst gestern Abend ja nich da. Also:“ Betty widmete sich wieder der Mistgabel und ich setzte mich gespannt mit lauschenden Ohren auf einen Heuballen.

„Jack Assejin. Er war gestern da. Weil er bei `Wetten, dass…` verloren hatte. Irgendsoeine Wette, da hat er selber, ich habe die Sendung gesehen, gesagt, dass er Pferde hasste. Und als er dann die Wette verloren hatte, sagte der Moderator Joe Pfosternsin, dass er als Entschädigung jetzt ein Pferd vom Gnadenhof kaufen solle. Den ältesten und kompliziertesten Gaul. Deswegen, nur deswegen war er da. Den Rest kannst du dir ja denken.“ Ja, das konnte ich. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er lässig an nen Heuballen gelehnt Mia und Teresa zusah als sie Quick Trick Tunierzöpfchen pflochten. Aber warum wollte er Quick Trick kaufen? Das fragte ich auch Betty. „Na eben, weil so n Superstar wie Jack Assejin nicht in echt den Allerschlimmsten kauft.“ Natürlich. Er musste beim Gnadenhof sich ein Pferd kaufen. Er sollte später nämlich den Schutzvertrag vorzeigen. Und den gibts nur auf nen Schutzhof. Aber wenn es schon vom Gnadenhof sein sollte, sagte er, dann wenigstens den besten. Deswegen hatte er Somsom genommen.“

Mir rutschte das Herz in die Hose. Er hatte Mialli genommen. „Ich dachte, er hätte Quick Trick genommen…“ sagte ich heiser. „Sorry, aber als er sich erkundigt hat, was das für n´ hübsches Pferdelchen seie das du hinter dir her geführt hast und dann gehört hatte was für ne tolle Rasse das sei wusste er sofort das Somsom und nicht Quick Trick das beste Pferd hier im Stall ist. Dann hat er uns 6500,- für ihn geboten. Eigentlich wollte er nur 6000 bezahlen, aber als er den Namen Somsom hörte sagte er das er uns noch 500 Euro dazu geben würde, also 6500,- und dann den Namen ändern könne. Eigentlich kostet Namen ändern ja nichts aber sollten wir die 500 Euro ablehnen? Die Wildskerns mochten es nicht wie du mit ihm rumgehetzt bist. Sie meinten so versaut man Pferde doch. Und 4.000 Euro, hatte Miss Jieson vorgeschlagen, war ihnen zu teuer. Dann hatten sie sich noch n Autogramm von Jack geholt und sind dann abgedüst. Das war sie, die Geschichte vom Gnadenhof und Jack Assejin. Die Geschichte von einem Araber-Hengst der nur kurze Zeit auf nen Gnadenhof leben konnte. Was Jack mit ihm wohl macht? Aber ich hörte gar nicht mehr zu. Das war doch schlimmer als das er bei den Wildskerns leben konnte. Jetzt war Mialli zwar bei meinem Superstar. Aber das hieß, das ich überhaupt keine Gelegenheit mehr hatte ihn zu besuchen. Bei den Wildskerns wäre das schon eher möglich gewesen. Und: Betty hatte Recht. Der schöne Mialli war einfach nur gekauft worden ohne das die Liebe daran Schuld war. Ich hätte ihn aus Liebe gekauft. Jack kaufte aus Pflicht weil er ne Wette verloren hatte, schrecklich. Wie ein Spielzeug. Ich wollte zwar nichts gegen meinen Superstar sagen, aber da ich auch neidisch war, dachte ich daran das er Mialli womöglich so quälen würde wie Miss Mialli. Oh nein. Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen, aber… „Christina?“ Bettys Kopf schaute aus Miallis Box heraus „Wenn du Somsom, oder Mialli, nochmal begrüßen willst, übermorgen wird er abgeholt und wahrscheinlich nach Hollywood gebracht.“

„Wo steht er denn?“ fragte ich mit leiser piepsender Stimme. „Na auf der verkrüppelten Koppel. Aber für das Geld von Mialli kauft sich Miss Jieson ne neue Weide. Nur zu schade das er gerade in ahnungslose Macho-Hände geraten musste. Assejin beachtet Mialli bestimmt nur als verloren Wette. Und kümmert sich überhaupt nicht um ihn…Und Somsom ist ein Araber der viel Zuwendung braucht…“ Bettys Kopf verschwand wieder in der Box. Sie arbeitete weiter. Als ich gerade mit gesunkenen Kopf in Richtung Weide ging hielt Betty mich noch mal auf: „Christina? Es tut mir Leid um deinen Mialli. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Hätte ich ihn dir sogar eher gegönnt als dieser Mia.“ Ich versuchte zu lächeln: „Danke“ mehr brachte ich auch nicht heraus. Dann drehte ich mich um und dann kam ja erst das schreckliche: Als ich zur Koppel kam, wo Quick Trick, Maya, Cindy, Alan, Going through, und Mialli standen, hörte ich ein helles Wiehern und ein wunderschöner Araber-Hengst mit wehender Mähne und Schweif, mit glänzenden Augen und einen fliegenden Galopp kam auf mich zu: Jack´s Mialli.

eingesandt und geschrieben von Josie Büchel