Doktor Pferd

Jedermann beneidete ihn. Denn er war seit etwa zwanzig Jahren als geschickter Zahnarzt bei einer prachtvollen Praxis taetig, welche sich nahe dem Stadtzentrum befand und ihm selber gehoerte.

Ihm gehoerte selbstverstaendlich nicht nur die Praxis sondern auch der ganze Gebaeudeblock dem die Praxis angehoerte und dazu besass er ein fuenfzig Fuss langes Segelboot, das im einem Hafen am ligurischen Meer lag und eine erhabene Villa am Lago Maggiore, die er von einem juedischen kinderlosen Patienten geerbt hatte.

Doktor Pferd – so wollen wir ihn von nun an nennen – hatte nie einen armen Patienten behandelt. In der Tat war das Honorar, die er fuer seine Leistungen verlangte derartig gross, dass sich nur sehr reiche Patienten zu bedienen vermochten.
Viel hatte Doktor Pferd nie gearbeitet. In der Praxis war er eigentlich nur am Mittwoch und Freitag zu finden, ausnahmsweise auch Dienstag nachmittags. Die Wochenenden verbrachte er gewoehnlich auf dem Segelboot und oft segelte er allein oder in guter Gesellschaft zur Elbainsel, wo er eben ein Landhaus besass.
Die restliche Zeit war entweder der Musik gewidmet- er war weiterhin leidenschaftlicher Klavierspieler- oder galt dem Schlafen, das zu einer seiner groessten Vorlieben zaehlte.

Obwohl Doktor Pferd ein richtiges und eifriges Gesellschaftsleben fuehrte, hatte er trotzdem keine richtigen Freunde. Das lag nicht an den anderen, also am Neid, den sein reicher Zustand erregen konnte, sondern an ihm selbst. So viele Menschen konnte er auch kennengelernt haben, keinen hatte er richtig geliebt. Nach einer anfaenglichen Begeisterung kam es oft vor, dass ihm die Leute zur Last, bisweilen auch zum Ekel fielen. Doktor Pferd war dessen bewusst, doch machte er sich nicht viel daraus.

Zu Frauen hatte er eine aehnliche Beziehung. Er war ein unwiderruflicher Junggeselle. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er vor vielen Jahren kurz nach dem Doktorat, eine huebsche Bruenette geheiratet, die viel juenger war als er, um sich dann nach wenigen Monaten später von ihr scheiden zu lassen, ohne dass der geringste Grund dazu vorhanden war.
Seitdem hatte er viele Frauen gehabt, manchmal war es auch so gewesen, als ob er sich in ein Maedchen verliebte, doch mehr als ein Paar Wochen hatte die Geschichte nie gedauert. Einmal kam es Doktor Pferd vor, die Geliebte haette nur zu grosse Brueste und wenn sie koerperlich perfekt war, dann war sie im Geiste ganz arm oder auch noch unter dem geschlechtichen Gesichtspunkt eine Nichtigkeit, und wenn sie in dieser Hinsicht das Beste beibrachte, dann war der Geruch ihrer Haut so gut wie unertraeglich.
Auch darueber hatte sich Doktor Pferd nicht zu viele Sorgen gemacht. Das Ganze koennte – so hatte ein Psychologe gemeint- einem ungeloesten Oedipus-Komplex anhaften, aber was ging ihm das an? Schliesslich war er ein geschickter und geschaetzter Berufler, hatte sich in die Welt aufgedraengt und zwar mit vieler Muehe, denn er stammte aus einer armen Bauernfamilie. Er war reich geworden und wenn er auch seinen Beruf aufgegeben haette, dann waere er bestimmt nicht verhungert.

In der letzten Zeit aber lief etwas an ihm in seiner gewohnten Bahn nicht mehr. Ein paar Mal, als er vorm Klavier sass, musste er verdriesslich mit dem Spielen aufhoeren, denn es war ihm, als ob seine Finger den Befehlen des Gehirns nicht mehr folgen konnten. Und ganz neulich hatte er auch mit dem Schlafen Aerger. Manchmal konnte er trotz der Muedigkeit nicht sofort einschlafen, blieb stundenlang im Bett liegen und beobachtete starr die Zimmerdecke. Aber noch schlimmer war, als er gegen vier oder fuenf Uhr morgens ploetzlich wach wurde und dann nicht mehr einschlafen konnte. Das passierte immer wieder oefter und bereitete ihm sogar Sorgen.
Endlich war es ihm bewusst, was er tun sollte. Statt vergeblich zu versuchen wieder einzuschlafen, stand er auf, zog sich an, ging die Treppen hinunter und holte seinen Ferrari Testa Rossa aus der Garage. Mit seinem funkelnden Auto raste er dann im Hundertfuenfzigkilommetertempo ueber die Strassen, die zum Geburtsort seiner Eltern fuehrten. Es war ihm besonders angenehm unter diesen Umstaenden sein schnelles rotes
Auto zu fahren, weil es in den ersten Morgenstunden ueberhaupt keinen Verkehr gab und er somit undenkliche Geschwindigkeiten erreichen konnte.
An einem Maimorgen fuhr er also im fast Zweihundertkilometertempo mit dem Ferrari. Es war eine ganz geradlinig gut gepflasterte Strasse, kein Fahrzeug war da und auch in den Feldern, die sich an den beiden Seiten der Strasse unabsehbar erstreckten, war kein Lebenszeichen zu bemerken.
Da sah Doktor Pferd ploetzlich etwas. Es war zuerst etwas wie ein kleiner weisser Fleck, der aber im atemberaubenden Tempo immer groesser wurde. Erst im naechsten Augenblick wurde sich der Doktor klar, mit welcher wahnsinnigen Geschwindigkeit er fuhr. Er drueckte mit entschlossener aber doch genau einkalkulierter Kraft auf das Bremspedal und gleichzeitig arbeitete er fachbewusst am Schalthebel. Es war immerhin nicht leicht das Auto zum Stillstand zu bringen und zugleich die Kontrolle darueber zu behalten, aber schliesslich gelang es dem Doktor. Was vorm Auto stand, die vorherigen weissen Flecken also, war ein weisses mittelgrosses Pferd.
Was jedoch ueberraschend war, zu sehen wie das Tier vor dem Heulen des Motors sowie vorm Quietschen der Bremsen gar nicht erschrocken zu sein schien. Es stand einfach mit aufrechten Ohren da und blinzelte durch die Vorderscheibe zu Doktor Pferd.
Es fiel Doktor Pferd zuerst ein, den ersten Gang einzuschalten um sich aus dem Staube zu machen. Doch er konnte es nicht. Statt dessen stieg er aus dem Auto, naeherte sich dem Pferd und musterte es neugierig an. Das Tier stand einfach da, ohne die Miene zu verziehen und blickte eben neugierig den Neuangekommenen an.

Ein Weilchen blieb das Pferd da, dann drehte es sich ploetzlich um, verliess langsam die Strasse und schlug einen schmalen Pfad ein, der parallel zu einem Weizenfeld lief. Doktor Pferd folgte ihm wortlos.
Nach wenigen Minuten erreichten sie, Mann und Pferd, dicht aneinander gehend eine kleine ein wenig verfallene Farm. Ein aelterer Mann stand da und arbeitete mit einer Hacke an einem Bachufer. „Gehoert Ihnen das Tier?“ fragte Doktor Pferd. „ Ja, es gehoert mir“ erwiderte der Mann „ Was sonst?“.
„ Wenn ich kein geschickter Fahrer waere, dann waere Ihr Biest schon lange tot. Und ich wahrscheinlich auch.“ „ Bei Ihnen waere es vielleicht schade gewesen, aber was das Untier betrifft um so besser.
Ich habe es immer gesagt, dass argentinische Pferde zu nichts taugen. Sie gehoeren einfach dem Metzger. Da trat er ans Pferd ran und versetzte ihm mit der Hacke einen heftigen Hieb auf den Ruecken. Das Pferd wieherte vor Schmerz und lief davon.
„ Das Untier hab ich seit knapp einer Woche und das ist schon das vierte Mal. Es wirft einfach den Zaun um und laeuft davon. Zum Glueck kommt der Metzger schon morgen oder spaetestens uebermorgen und faehrt das Untier weg. Haben Sie etwa Schaden am Auto erlitten?“
„ Nein, es ist alles in Ordnung.“ „ Um so besser.“

Doktor Pferd ging den schmalen Pfad zurueck, der zur Hauptstrasse fuehrte, stieg ins Auto ein und fuhr mit grosser Behutsamkeit nach Hause. Da es Donnerstag war und er sonst nicht arbeiten musste, schlief er dann den ganzen Tag hindurch.
Als er am spaeten Nachmittag erwachte, war er schlechter Laune und dazu hatte er keinen Hunger. Er nahm sich widerwillig eine Pizza in einer naheliegenden Kneipe, trank ein Bier und ging dann wieder nach Hause. Kurz nach zehn ging er erneut zu Bett, da er keine Lust hatte Klavier zu spielen. Doch war er sich sofort voellig im klaren, dass vom Schlafen nicht die Rede war. Er dachte an das weisse Pferd und konnte nicht den Gedanken loswerden, dass das arme Tier morgen oder spaetestens uebermorgen unter dem Messer des Metzgers fallen wuerde. Er waelzte sich die ganze Nacht schlaflos im Bett und nahm sogar ein paar Schlaftabletten ein – was er sonst nie tat- endlich stand er auf, zog sich an und holte seinen Ferrari aus der Garage. Es war fuenf Uhr morgens und es begann zu daemmern.
In dreissig Minuten erreichte er die Farm. Der Bauer war schon auf und arbeitete wie ueblich am Bachdamm. Als er Doktor Pferd sah, staunte er.
„ Was ist denn ?“ ertoente seine grelle Stimme „ Haben Sie etwas Unpassendes an Ihrem Auto bemerkt?“ Doktor Pferd fuehlte wie sein Herz heftig in seiner Brust klopfte. Es verging eine Weile bis er zu Antwort kam. „ Nein, das ist nicht der Fall. Sagen Sie mal, ist das weisse Pferd noch da?“ „Freilich. Der Metzger kommt erst heute Nachmittag.“
„ Gut, ich bin hier um das Pferd zu kaufen.“ Das Gesicht des Bauerns verzog sich in eine Grimasse. „ Den Coca Cola meinen Sie? Verflucht noch mal, wenn man mit so‘nem Auto rumfaehrt hatt man bestimmt keine Probleme. Sie koennen sich sicher etwas besseres goennen als das arme Untier.“ Er winkte dem Doktor zu.
„ Kommen Sie mal mit. Ich zeige Ihnen etwas, was zu Ihnen bestimmt besser passt.“ Er ging voran und Doktor Pferd folgte ihm. Sie betraten einen klaeglichen schmutzigen Stall, wo ein Dutzend Pferde standen.„ Die beiden hier links sind Araber und Gutscheine haben sie auch. Und die daneben kommen aus Andalusien, spanische Pferde, erstklassige Tiere.“
„ Schon gut „ sagte Doktor Pferd „ Von Pferden weiss ich zwar nicht viel. Aber ich bin fest entschlossen den Coca Cola zu kaufen.“ Der Bauer schaute ihn mit einem veraechtlichen Blick an. „ Wie Sie wollen. Bei uns kann jeder machen was er will.“ „Warum haben Sie dem Pferd diesen so komischen Namen auferlegt?“ „ Ach, das stammt nicht von mir. So hat es gehiessen, als es zu mir kam.“

Schon am naechsten Morgen fuhr ein Pferdewagen zur Farm, uebernahm Coca Cola und brachte ihn sofort in die praechtige Villa am Lago Maggiore. Dort hatte Carlo, der Mann, der die Villa bewirtschaftete schon passende Weisungen erhalten. Er sollte bis spaetestens einer Woche einen viereckigen Zaun aufbauen dessen Seiten je hundert Meter lang sein sollte, mitten auf der grossen Wiese, die hinter der Villa lag und unmittelbar zum Wald grenzte. Dazu erhielt Carlo den Auftrag an einer Ecke des Zaunes ein Schutzdach zu errichten nebst Futtertrog und Traenkebecken, damit es das Pferd auch bei Regen gut haben sollte. Carlo folgte seinerseits den Weisungen eifrig nach.
Jeden zweiten Tag begab sich Doktor Pferd zur Villa und beobachtete sein Pferd. Besonders schoen war das Tier nicht, musste er trotz alledem zugeben. Geritten hatte er nie vorher, doch wollte er es einmal mit dem Pferd versuchen. Denn es war sein Pferd, daran zweifelte Doktor Pferd kaum. Es war ihm voellig klar, dass sein erstes Ziel darin bestand, sich die Freundschaft oder zumindest das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen.
Doch die ersten Versuche waren ueberhaupt enttaeuschend. Als sich Doktor Pferd dem Tier naeherte, entweder auf der Wiese oder auch im Stall, soviel er auch tat um sich mit Coca Cola anzufreunden, scheiterten immerhin all seine Versuche. Nur wenn er dem Pferd Karotten oder Aepfel mitbrachte, manchmal auch Wuerfelzucker, dann drehte sich das Pferd um, schaute ihn verdaechtig an und schlich dann zu seiner Stallecke um das Mitgebrachte zu fressen.
Erfahrung beim Reiten hatte Doktor Pferd keine, doch er haette gerne geritten, sonst waere es ueberhaupt sinnlos gewesen das Pferd gekauft zu haben. So bestellte er einen geschickten Reitlehrer, der im benachbarten Dorf wohnte und liess sich Lektionen erteilen. Die Ergebnisse aber waren katastrophal. In den ersten zwei Wochen wurde Doktor Pferd vielmals auf den Boden geschmissen glücklicherweise ohne schwierige Folgen.
Carlo sagte einmal zum Doktor: „ Herr Doktor, Sie sollten ja sehr aufpassen. Wenn sie sich einen Arm oder ein Bein zerbrechen, was wird dann aus Ihrem Beruf?“
„Machen Sie sich keine Sorgen, Carlo. Sie verlieren auf keinen Fall Ihren Arbeitsplatz!“
So ging die Sache erfolglos noch ein paar Wochen weiter, bis auf einen Tag, den Doktor Pferd haette nie vergessen koennen.
Da sass er im Gras an einer Ecke des Zaunes und war etwas bedrueckt. Coca Cola weidete ruhig auf der Wiese. Ploetzlich wurde der Doktor am Ruecken gestossen, drehte sich erschrocken um und sah, dass das Pferd da war, wieherte wiederholt und blickte unmittelbar in seine Augen. Das Benehmen des Tiers war nicht bedrohlich, es war als ob das Pferd zu ihm sprechen wollte. Und da es dem Doktor ueberhaupt nicht klar war, was er im Augenblick tun sollte, so wiehrte er seinerseits dem Pferd entgegen.
Coca Cola schien ueber den Ton, den der Doktor von sich gegeben hatte, sehr ueberrascht zu sein. Er schaute den Mann mit forschenden Augen an und legte sich dann im Gras daneben nieder und blieb da lange bewegungslos liegen.

Von nun an ritt der Doktor fast taeglich, ohne dass er vom Sattel zu Boden geworfen wurde. Noch mehr, er sprach zum Pferd mit sanfter Stimme und hatte den Eindruck von ihm voellig verstanden zu werden. Zuerst wagte er sich zwar nicht jenseits des Zaunes, doch kurz danach begann er mitten im grossen Naturpark zu reiten, der sich unmittelbar hinter der Villa ueber verschiedene Quadratkilometer erstreckte.
Manchmal, als etliche Schwierigkeiten entstanden, streichelte er das Tier am Hals oder an der Maehne, weil das Pferd den Ausritt im freien Land nicht gewohnt war. Wie der lehrende Reiter betonte war das zweifellos ein erfolgreiches Verfahren, doch eine Tatsache war Doktor Pferd einleuchtend: er musste Pferdisch lernen.
Natuerlich erwies sich die Sache als besonders schwierig, vor allem in Anbetracht dessen, dass eine Grammatik der pferdischen Sprache nirgendwo zu finden war. So begann Doktor Pferd das Benehmen seines lieben Pferdes stundenlang zu beobachten, wobei er ziemlich schnell zur Feststellung kam, dass sich Pferde kaum durch Toene ausdruecken, sondern ueberwiegend durch Ohren- und Schwanzbewegungen.
Diese Feststellung bereitete natuerlich dem Doktor ein Gefuehl der Trostlosigkeit. Wenn es im Laufe der Zeit verhaeltnismaessig leicht wuerde, das Pferd zu verstehen, wie konnte er aber vom Pferd verstanden werden, da seine Ohren voellig unbeweglich waren und er keinen Schwanz besass, lediglich nicht im betreffenden Sinne des Wortes.
Die ganze Geschichte nahm uebrigens viel Zeit in Anspruch, sodass Doktor Pferd begann die Praxis zu vernachlaessigen, wobei er eine gewisse Zahl von Patienten verlor.
Auch vom Segeln war fast nicht mehr die Rede. Er ging nun im allerhöchsten Fall nur einmal monatlich dahin, weil das Erlernen der pferdischen Sprache nur in Anwesenheit des Pferdes möglich war. Was Freunde und Freundinnen betraf, hatte Doktor Pferd praktisch jede Verbindung abgebrochen.
Nach und nach lernte Doktor Pferd die geringsten Modulationen des Wieherns, konnte immer und immer besser seine Ohren je nach pferdischem Beispiel bewegen und verschaffte sich endlich einen kuenstlichen Pferdeschwanz.

Vier Jahre lang blieb es bei alledem. Sie ritten, ritten und ritten schon mal wieder, oft weilten sie im offenen Land den ganzen Tag hindurch, hockten stundenlang mitten im Wald aneinander, da ass Doktor Pferd ein Broetchen und trank ein Bier , waehrend Coca Cola reichlich Karotten und Aepfel zur Verfuegung standen, wenn nicht genuegend Gras zum Fressen da war.
Dort im Wald, abseits von den Menschen und der Zivilisation, konnte der Doktor unmittelbar in die Augen seines geliebten Tieres schauen, jawohl in den tiefen, gutmuetigen Augen des Pferdes, in denen sich das blaue Gewoelbe des Himmels, ja des ganzen Universums spiegelte.
Da erzaehlte ihm Coca Cola, wie seine Mutti eine ganz erstklassige Stute gewesen war und wie der Ranchero , der sie pflegte, sich kurz nach ihrem Tod totgetrunken hatte. Viel hatte Doktor Pferd nicht entgegenzubringen, wenn nicht sein Segelboot, sein Reichtum und sein unbedeutendes Leben.

Dann kamen die ersten Schwierigkeiten vor. An einem Morgen begann Coca Cola ploetzlich zu hinken. Der sofort herbeigerufene Tierarzt diagnostisierte eine schwere Arthrose an den beiden Vorderhufen. Vom Galoppieren war nicht mehr die Rede, am besten sollte der Doktor ein juengeres Pferd kaufen und den Coca Cola seinem Schicksal ueberlassen. Da weigerte sich Doktor Pferd völlig.
Noch sechs Jahre blieben die beiden zusammem. Da er nicht mehr reiten konnte, ging der Doktor einfach mit dem Pferd an der Leine aus, so wie man es mit Hunden macht. Das Reiten blieb aus, doch in den Augen des Pferdes entdeckte Doktor Pferd doch noch den eigentlichen Sinn des Lebens. Ein glueckliches Pferd war Coca Cola und Doktor Pferd ein gluecklicher Mensch.
Da starb eines Tages Coca Cola. Er starb nicht, weil ihm Futter oder Liebe fehlten. Er starb einfach deswegen, weil er zu alt geworden war um weiterzuleben. Als Carlo eines Morgens seinen Stall betrat, um ihm die uebliche Futterration zubringen, war das Pferd wahrscheinlich seit einigen Stunden tot. Doktor Pferd wurde sofort telephonisch Bescheid gegeben. Er fuhr wie besessen zur Villa.
Die Augen des Pferdes waren noch offen, nur ein wenig duester. Darin sah Doktor Pferd nicht mehr das blaue Gewoelbe des Himmels, sondern die trostlose Leere des Unendlichen. Doch Traenen kamen aus seinen Augen keine. Carlo gab er einfach den Auftrag das Pferd richtig zu begraben mit besonderer Achtung darauf, seinen Koerper mit einem Wintermantel zu bedecken, damit er vor Kaelte nichts zu leiden hatte.
Hierauf fuhr Doktor Pferd nach Hause. Dorthin angekommen, rief seine Sekretaerin an. Sie sollte alle Patienten um zwei Wochen verschieben, weil er über dem Tod des Pferdes sehr gelitten habe und brauche also zwei Wochen Urlaub. Er beabsichtigte zur Elba-Insel zu segeln. Auf die Frage der Sekretaerin , ob sie den Bauern, der das Landhaus auf Elba bewirtschaftete, ueber die Ankunft des Doktors Bescheid geben sollte, erwiderte er , es sei nicht noetig, er haette dies selber in Kauf genommen.
Doktor Pferd begruesste telephonisch all seine Freunde und Freundinnen, machte in seiner Wohnung ein bisschen Ordnung, begoss die Pflanzen, stellte fest, dass der Kuehlschrank richtig arbeitete, stieg die Treppen hinunter und holte seinen Ferrari aus der Garage.
Dann fuhr er zu seinem Segelboot. Er machte die für eine Segelfahrt notwendigen Vorbereitungen und ging dann schlafen.

Am naechsten Morgen segelte er dahin, so wie er das oft gemacht hatte. Es war ein heller Tag, die Wettervorhersage war beruhigend, die Meeresoberflaeche leicht von einer leichten Brise gekraeuselt. Als er den Hafen verliess um ins offene Meer zu gelangen, begruesste er noch einmal Maurizio, den alten Rentner, der stetig am Hafendamm hockte und seine letzte Zeit fischend verbrachte. „ Ideal zum Segeln“ fluesterte Maurizio vor sich hin. Er beneidete den Doktor. Doch er konnte nicht ahnen, dass er der letzte Mensch war, der Doktor Pferd lebendig gesehen hatte.

Seitdem war weder noch vom Doktor Pferd als auch von seinem fuenfzig Fuss langen Segelboot keine Spur mehr zu finden.

eingesandt und geschrieben von Giancarlo De Paoli Cocagri
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(letzte Aktualisierung: 14.06.2002)