Gringo und Titillo


Gringo und Titillo

Bis vor kurzer Zeit hatte ich keine Ahnung, ob eine echte Freundschaft zwischen einem Pferd und einem Hund überhaupt möglich ist. Soweit ich aus meiner verhältnismäßig großen Erfahrung beim Reiten folgern konnte, hegte ich trotzdem über diese Möglichkeit etliche, nicht grade grundlose Zweifel. Einerseits bellen Hunde heftig in Anwesenheit eines Pferdes, besonders wenn sie sich in ihrem eigenen Territorium befinden, andererseits scheinen Pferde dagegen meistens keine Angst vor Hunden zu haben.
Nun, ich reite ( es wäre aber passender zu sagen ich ritt) ein argentinisches Pferd, ganz ruhiges, prima träniertes Tier. Das Pferd heißt Gringo und ich hab’s 14 Jahre lang geritten. Meine Reitgenossen nannten es Moped und tatsächlich war Gringo wie ein Motorrad zu fahren. Als ich auf den Sattel sprang, blieb das Tier ganz ruhig da stehen, dann streichelte ich die rechte Seite seines Halses und er ging Schritt, das zweite Streicheln nochmals rechts hieß Trab, das dritte nochmals rechts Galopp. Das Gegenteil passierte, wenn ich Gringos Hals an der linken Seite streichelte, also Galopp, Trab, Schritt, Stehen. Kein Mensch hat mir das geglaubt, bis er es selber nicht gesehen hat.

Am Bauernhof, wo Gringo zuhause ist, lebte ein kleiner Hund namens Titillo. Ein häßlicher Bastard, dazu unsymphatisch möchte ich sagen, er bellte den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch auf jedes Ding, das sich bewegte. Aber wenn Gringo zum Bauernhof gelangte und Titillo ihn zum ersten Mal sah, bellte der Hund nicht, dagegen betrachtete er das Pferd lange mit solchen Augen, die ich nie vorher an ihm angesehen hatte. Das war der Anfang ihrer Freundschaft.
Ich muß zugeben, daß Gringo ein glückliches Pferd ist. Er hat einen geräumigen Stall, so sauber und gepflegt wie mein Bettzimmer, die meiste Zeit verbringt er aber nicht im Stall, sondern in einem großen Paddock, dessen Seiten ungefähr 100 Mt. messen. Dort kann er nach Belieben Sonne genießen, wenn’s kalt ist oder sich am Schatten in den heißen Sommertagen weiden.
Titillo hatte vor der Ankunft Gringos kein besonderes Interesse für diesen Paddock gezeigt, auch wenn ein Pferd drin war. Erst jetzt, als Gringo im Paddock hin und her wanderte, saß der Hund im Schatten an einer Ecke des Zaunes und betrachtete neugierig die Bewegungen seines Freundes. Ab und zu ging das Pferd zur Ecke, wo der Hund saß, schnaufte ihm entgegen, wobei der Hund etwas wie ein klägliches Geschrei vor sich gab.
Als die anderen Pferde ausritten, stand Titillo beiseite; im besten Fall begleitete er die Pferde bis zum Ausgangstor des Bauernhofes, dann machte er kehrt.. Wenn ich aber allein mit Gringo ausritt, folgte er uns bescheiden, zuerst in respektvoller Entfernung und dann immer näher. Ich hatte natürlich nichts dagegen, weil ich wußte daß, sollte irgendeine Schwierigkeit vorkommen, dann wäre der Hund bestimmt zum Bauernhof zurückgekehrt, den Bauern alarmiert und ihn zum vermutlichen Unfallsort geführt. Und das trotz des Mopeds, ihr wißt ja, wenn man reitet, kann jeden Augenblick was passieren.
Das Land, wo wir reiten, ist eine flache, meistens mit Anbauflächen bedeckte Ebene, nur hier und dort bieten kleine Pappel – und Buchenwäldchen den Reitern Schutz vor der Sonne. Bepflasterte Straßen gibt’s fast keine, so daß man in aller Ruhe reiten kann, ohne die Gefahr zu laufen von einem Auto oder einem Lkw überfahren zu werden.
Außer eine, eine einzige gradlinige bepflasterte Straße, welche zwei benachbarten Dörfer verbindet. Die ich selbstverständlich mit großer Sorgfalt vermied. Aber an jenem Tag, es war Mitte August und auf der Straße fuhr knapp ein Auto alle zehn Minuten, war ich mit einer Freundin verabredet, die ihr Pferd in einem naheliegenden Bauernhof hatte, wir wollten ein bißchen mitreiten und, um den Bauernhof zu erreichen, mußte ich zwangsläufig jene Straße überqueren.
Bis dahin war Titillo an der Seite des Pferdes wie üblich getrottelt, denn er wagte sich nie sehr von seinem Freund entfernt. Als wir aber die Straße erreichten, machte er etwas , das ich nie hätte voraussehen können, nämlich lief er unbesonnen grade mitten in die Straße.
Ich gab Gringo sofort Galoppbefehl, indem ich zweimal seine rechte Halsseite streichelte und gleichzeitig versuchte ich durch laute Töne den Hund zurückzurufen, doch erfolglos. Plötzlich hörte ich etwas, das mich auffahren ließ : es war zweifellos das Heulen eines Motors, also eines Autos, das mit vermutlich großer Geschwindigkeit zu uns zufuhr. Einen Augenblick später konnte ich sogar sehen, worum es sich handelte : das Auto fuhr grade in Richtung des Hundes. In panischer Angst versuchte ich Gringo zu stoppen, indem ich seine linke Halsseite wiederholt streichelte ( Zügeln hatte ich wie üblich keine ), doch der Versuch schlug fehl. Das Pferd galoppierte in rasendem Tempo gegen das Auto mit dem deutlichen Zweck, zwischen Auto und Hund dazwischenzutreten und damit seinen Freund zu retten.

Als uns der Autofahrer sah, bremste er verzweifelt, konnte jedoch den Prall nicht vermeiden. Ich wurde vom Sattel geschleudert und flog buchstäblich in ein Weizenfeld, doch ohne schwierige Folgen. Auch Gringo war es verhältnismäßig gut gegangen, denn er hatte außer ein paar kleinen Abschürfungen nichts erlitten. Titillo war vollkommen heil und gesund davongekommen. Wir konnten sogar meine Freundin treffen und am Bauernhof konnte das Pferd regelrecht behandelt werden.

Von diesem Tag an wurde die Freundschaft zwischen den beiden Tieren noch tiefer. Der Hund wollte nicht mehr in seinem Lager schlafen, sondern er schlich unbemerkt durch das Gitter in den Stall des Pferdes und wenn das aus irgendeinem Grunde nicht erfolgte, dann wiehrte das Pferd ununterbrochen und schlug mit den Pfoten gegen die Stallwände, bis der Bauer endlich verstand, was er zu tun hatte. Dann kauerte sich Titillo in einer Ecke des Stalles und später, als das Pferd endlich einschlief, nistete er sich zwischen den Vorderpfoten seines Freundes und blieb die ganze Nacht da liegen.
Auch beim Fressen verlief die Sache dergleichen : Titillo weigerte sich sein Futter zu verschlucken wenn nicht in Anwesenheit Gringos und dasselbe galt für das Pferd. Der Bauer, ein gutmütiger Kerl, der viel über Tiere wußte, erstaunte sehr darüber und schwor, daß er so was in seinem Leben noch nie gesehen hatte.

Titillo starb, als er mehr als 15 Jahre alt war, also für einen Hund etwas ganz normales. Er bekam eine Darmkolik und, obwohl ich ihn rechtzeitig zum Tierarzt brachte, war er nicht mehr zu retten. Ich ließ ihn in der Nähe des Zaunes begraben, grade am Ort, wo er saß, als er sein Pferd mit liebevollen Augen betrachtete.
Nach Titillos Tod ist es aus mit dem Moped : mehr dazu, Gringo läßt mich einfach nicht mehr auf. Trotz meiner wiederholten Versuche. Das einzige, das ich noch mit dem Pferd unternehmen kann, ist, es in den Paddock zu führen.

Dort wandert er den ganzen Tag ein bißchen fremd, frißt Gras ungern und, wenn er zufällig das Bellen eines Hundes hört, schaut er ‚rum und seine Augen werden unendlich traurig. Manchmal schreitet er zur Ecke des Zaunes, dort wo Titillo begraben ist, und schnauft. Schnauft ins Nichts.

eingesandt und geschrieben von Giancarlo De Paoli Cocagri
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(letzte Aktualisierung: 24.08.2002)