Erinnerungen eines alten Pferdes

Meine Mutter zog den Wagen im Pferdegespann;
Sie zog ihn geduldig, bis ich ward geboren.
Sie hätte als Pferd sonst die Ehre verloren.
Sie gebar mich ohne Hilfe am Strassenrand;
Dort war es, wo der Mann vom Wagen mich fand.
„Ein prächtiges Fohlen“, so hört ich ihn sagen
Und als Antwort auf viele Kinderfragen:
„Es ist noch ganz klein und ruht sich noch aus.
Später darf es auf die Wiese hinaus.“
Die Kinder, sie tollten, die Wangen so rot;
Sie schenkten mir Zucker, sie schenkten mir Brot.
Ich ward grad drei Jahre da sagte mein Herr:
„Ein Sattel für dich ist nun nicht mehr zu schwer.“
Erst hatte ich Angst und sprang in die Höh;
Ich sträubte mich, Sattel und Gurt taten weh.
Es nützte mir nichts, nur ein Peitschenhieb
Ist’s was mir davon in Erinnerung blieb.
Der in meiner Ausbildung folgende Schritt
war, wie man als Pferd einen Wagen brav zieht.
Ich lernte zu gehen in Zaumzeug und Zügel
Weit über des Landes grün leuchtende Hügel.
Geschickt wich ich Hunden und Fuhrwerken aus
Und zog hinter mir her das Planwagenhaus.
Als das alte Pferd starb, seinen Platz ich bekam.
Einen Platz auch im Herzen meines Herrn ich einnahm.
Man wollte mich kaufen, man bot ihm viel Geld,
Doch für ihn war es klar, dass er mich behält.
Nun sind wir alt; er geht neben mir her.
Familie und Freunde heut leben nicht mehr.
Ich brauche jetzt öfter als früher eine Rast.
Der uralte Wagen nun wird mir zur Last.
Die Muskeln sind schwach, und schwer ist mein Gang,
So schleppe ich mich die Strasse entlang.
Ich weiss was die Zukunft für mich hält bereit;
Auch weiss ich: Was kommt, für uns alle bringt Leid.
Eines Morgens kommt mein Herr, und ich rühr mich nicht mehr.
Er fängt an zu weinen, das Herz wird ihm schwer.
Er legt sich in’s Bett und steht nimmer auf;
Es neigt sich zu Ende auch sein Lebenslauf.
Wir schicken uns drein, und sind zufrieden.
Nach dem schweren Leben, das wir hatten hienieden.

Von Julia Gentle

eingesandt von Sandra Mancino aus Solingen